Jeder Mensch muss in seinem Leben mit unterschiedlichen Problemen und Krisen umgehen. In der Regel können die meisten solche Phasen allein oder mithilfe der Familie oder ihrer Freunde bewältigen. Manchmal gerät man allerdings in eine längere emotionale Schieflage und kann sich aus einem Tief nicht mehr allein herausziehen. In einem solchen Fall kann es hilfreich sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Auch wenn der Gang zum Psychotherapeuten immer noch als Tabu gilt, sollte man sich seiner Gesundheit zuliebe nicht davor scheuen. Weil die Suche zu Beginn sehr frustrierend sein kann, findest du hier praktische Tipps, wie du schneller einen Therapieplatz findest und welche Alternativen es gibt:
Organisatorische Fragen
Bevor du dich auf die Suche nach einem Therapieplatz begibst, tauchen schon die ersten Fragen auf: Was kostet eine Therapie? Muss ich die Therapie selbst zahlen oder übernimmt die Krankenkasse die Kosten? Übernehmen alle Krankenkassen die Kosten? Was ist von meiner Seite aus noch zu tun?
Die gute Nachricht vorweg: Bist du gesetzlich krankenversichert, musst du nichts für eine Psychotherapie bezahlen. Von den Krankenkassen werden Akutbehandlungen und anerkannte psychotherapeutische Verfahren übernommen. Dazu zählen die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Therapie, die analytische Psychotherapie und seit 2019 auch die Systemische Therapie.
Wie bekomme ich einen Termin?
Für einen Termin bei einem Psychotherapeuten brauchst du keine Überweisung von deinem Hausarzt. Du kannst Beschwerden oder Probleme aber natürlich vorher mit diesem besprechen. Womöglich kann er dir auch Kollegen aus dem Bereich der Psychotherapie empfehlen.
Für einen Termin kannst du den Therapeuten deiner Wahl direkt kontaktieren und einen Termin für eine psychotherapeutische Sprechstunde vereinbaren oder dich an die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung wenden. Sie hilft dir, innerhalb von 4 Wochen einen Termin bei einem Psychotherapeuten in deiner Nähe zu finden. Du kannst die Servicestelle rund um die Uhr über die Telefonnummer 116 117 erreichen oder ihr Online-Kontaktformular nutzen.
Wo finde ich einen Therapeuten?
Seit dem 01.04.2018 ist es Pflicht, vorab eine psychotherapeutische Sprechstunde zu besuchen, damit du dich psychotherapeutisch weiterbehandeln lassen kannst.
Mögliche Fundstellen für die Kontaktdaten von Psychotherapeuten:
- Therapie.de, ein nützliches Suchportal, verantwortet vom Verein Pro Psychotherapie e.V.
- Psychotherapeutenliste der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung e.V.
- Angebote der Kassenärztlichen Vereinigungen und regionalen Psychotherapeutenkammern
Achte darauf, dass die behandelnde Person eine Kassenzulassung hat, denn nur so werden die Kosten auch von der Krankenkasse übernommen. Behandlungen von Coaches und Heilpraktikern für Psychotherapie werden in der Regel nicht bezahlt.
Hast du ein Erstgespräch ergattert, bedeutet das allerdings nicht, dass der Therapeut auch freie Kapazitäten hat, um dich weiterzubehandeln. Oftmals handelt es sich wirklich nur um das obligatorische Erstgespräch und danach musst du allein auf die Suche nach einem freien Platz bei einem Therapeuten gehen.
Da der Bedarf an Therapieplätzen oft sehr hoch ist, kann es passieren, dass du auf einer Warteliste landest oder gleich abgewiesen wirst. Lass dich davon keinesfalls entmutigen, auch wenn es anstrengend ist.
Auch Ambulanzen von Hochschulen, Kliniken oder psychotherapeutischen Instituten bieten Behandlungen an. Bei psychosozialen Beratungsstellen findet man häufig schneller Hilfe, als gedacht. Informiere dich, welche weiteren Anlaufstellen es in deiner Nähe gibt.
Digitale Psychotherapie erweitert Zugangsmöglichkeiten
Seit Ende 2020 gibt es zudem die Möglichkeit der digitalen Psychotherapie. Auf der oben bereits erwähnten Internetseite therapie.de findest du Therapeuten, die diese Form der Behandlung anbieten. Wähle dazu im Bereich „Psychotherapeuten-Suche” bei „Welche Methode?“ den Filter „Online-Beratung“. Diese Art der Therapie ist besonders für Menschen hilfreich, die keine ausreichende Versorgung mit psychotherapeutischen Praxen in der Nähe haben oder nicht in der Lage sind, weite Wege auf sich zu nehmen.
Die Sprechstunde
Im Erstgespräch besprichst du zusammen mit dem Therapeuten deine Probleme und bei welchen Themen du an dir arbeiten willst. Er oder sie wird dir im Anschluss eine geeignete Therapieform empfehlen. Und auch, ob sich eine Gruppen- oder Einzeltherapie für dich eignet oder ob eine Medikation notwendig ist.
Am Ende bekommst du dann einen Bericht mit Einschätzungen und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen. Der Therapeut kann auf dem Formular außerdem angeben, dass eine Psychotherapie „zeitnah erforderlich“ ist. Damit hast du Anspruch auf eine Terminvergabe innerhalb von 4 Wochen durch die Terminservicestelle. Diese Akutbehandlung mit 12-24 Therapieeinheiten ist besonders für Menschen in schweren seelischen Krisen gedacht.
Die probatorischen Sitzungen
Hast du einen Psychotherapeuten gefunden, geht es in den ersten zwei bis vier Sitzungen erst einmal darum, einander kennenzulernen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Diese Sitzungen heißen probatorische Sitzungen und dienen dazu, zu schauen, ob die Chemie stimmt und du dich deinem Gegenüber öffnen kannst.
Zudem sind diese ersten Sitzungen auch dazu da, um praktische Fragen zu klären: Wie wird die Therapie ablaufen? Wie oft finden die Sitzungen statt? Was mache ich, wenn ich einen Termin nicht wahrnehmen kann?
Wenn du merkst, dass du mit dem Therapeuten doch nicht so gut klarkommst, sag es rechtzeitig. Da die probatorischen Sitzungen noch nicht Teil der eigentlichen Therapie sind, kannst du dir ganz einfach einen neuen Therapeuten suchen.
Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse
Fühlst du dich bei dem Therapeuten wohl und hast bereits die probatorischen Sitzungen hinter dir, kann der Antrag für die Übernahme der Kosten bei der Krankenkasse gestellt werden. Keine Panik, das übernimmt in der Regel der Therapeut. Du musst den Antrag nur durchlesen und unterschreiben. Wichtig ist jedoch deine Krankenversicherungskarte.
Hat deine Krankenkasse den Antrag genehmigt, übernimmt sie auch die Kosten vollständig. Du brauchst also nichts zu bezahlen. Krankenkassen können einen Antrag allerdings auch ablehnen. Dagegen kannst du Widerspruch einlegen. Wird auch dieser abgelehnt, kannst du kostenfrei Klage beim Sozialgericht einreichen.
Hinweis: Bei privaten Krankenkassen sind die Leistungen nicht einheitlich geregelt. Lies am besten in deinem Vertrag nach oder wende dich direkt an deine Krankenkasse.
Was hat es mit dem Kostenerstattungsverfahren auf sich?
Dass es einen großen Mangel an Therapeuten gibt, ist auch den Krankenkassen bewusst. Deshalb gibt es das Kostenerstattungsverfahren. Es ermöglicht dir eine Therapie in einer Privatpraxis, deren Kosten trotzdem von der Krankenkasse übernommen werden. Das hat einen großen Vorteil, denn Privatpraxen haben häufiger auch kurzfristig freie Plätze.
Für die Übernahme der Behandlungskosten in einer Privatpraxis solltest du deine Suche von Beginn an genau dokumentieren. Notiere dir Datum und der Uhrzeit des Telefonats sowie die Dauer der dir genannten Wartezeit. 5 Therapeuten sind hierbei das Minimum. Wichtig dabei ist, dass die Psychotherapeuten, die du kontaktierst, einen Kassensitz haben.
Info: Ein „Kassensitz“ bedeutet eine Zulassung für Ärzte und Psychotherapeuten und bietet die Möglichkeit, vertragsärztlich tätig zu werden. Diese Ärzte können sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte behandeln und ihre Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen. (Quelle: doctolib)
Vor der ersten Sitzung in einer Privatpraxis muss ein schriftlicher Antrag für 5 Sitzungen Probatorik + 25 „klassische“ Sitzungen gestellt werden. Weiterhin benötigst du eine Dringlichkeitsbescheinigung mit Verdachtsdiagnose, welche vom eigenen Hausarzt, behandelnden Psychiater oder Neurologen ausgestellt werden kann, oder einen Konsiliarbericht, ebenfalls erstellt von einem behandelnden Arzt. Dann solltest du noch ein Anschreiben beifügen, in dem du deine persönlichen Gründe für eine Therapie darlegst. Zum Abschluss brauchst du noch einen Brief des Therapeuten, in welchem bestätigt wird, dass dieser dir zeitnah einen freien Therapieplatz anbieten kann und 25 Sitzungen benötigt werden.
Schicke alles zusammen an deine Krankenkasse und bleibe standhaft. Hast du genügend Nachweise, ist deine Krankenkasse verpflichtet, die Kosten in einer Privatpraxis zu übernehmen, auch wenn sie sich gern weigert.
Wichtig: Manche Kassen bieten kein Kostenerstattungsverfahren an. Kläre das vorher bei deiner Kasse ab!
Wenn du akute Hilfe brauchst, wende dich an diese Adressen:
- Sozialpsychiatrischer Dienst deiner Region
- Ärztlicher Bereitschaftsdienst; deutschlandweit erreichbar unter 116 117
- Psychiatrische Notfallaufnahme im Krankenhaus
- Psychiatrische Praxis mit Notfalldienst
- Deutsche Depressionshilfe
Hast du das Gefühl, eine Psychotherapie ist nicht das Richtige für dich? Wenn du dir aber trotzdem Hilfe wünschst, könnten dir folgende Anlaufstellen helfen:
- Telefonseelsorge
- Krisen-Kompass: App der Telefonseelsorge als „Notfallkoffer“ für Krisensituationen; direkte Kontakte zu professionellen Anlaufstellen möglich
- Nightline: Zuhörtelefon von Studierenden für Studierende
- Psychologische Beratung von profamilia für Partnerschafts- und Sexualprobleme
- Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Caritas
- Online-Beratung der Caritas
- Gruppentherapie: Du kannst dich mit Menschen austauschen, die Ähnliches erfahren haben wie du selbst. Gruppentherapien werden oft von der Krankenkasse übernommen
- Private Psychotherapie: Wenn du dich dafür entscheidest, deine Therapie selbst zu bezahlen, bekommst du sehr viel schneller einen Termin. Außerdem erfährt die Krankenkasse nicht unbedingt von der Diagnose, was für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung wichtig sein kann.
Für die Suche nach einem Therapieplatz braucht man einen langen Atem, denn sie ist oftmals mühselig und zeitaufwendig. Aber deine psychische Gesundheit sollte dir wichtig genug sein, um dranzubleiben. Lass dich nicht entmutigen!
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Quellen: hellobetter, fuckluckygohappy, jan-laute
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