Der Trend ist deutlich: Selbst an Grundschulen waren im Jahr 1960 Lehrerinnen noch in der Unterzahl. Heute sieht man in den Primarstufen männliche Kollegen fast so selten wie Braunbären im Goldfischteich. Auch die ehemalige Männerdomäne Gymnasium ist fest in Frauenhand.
Das Lehramt ist zum Frauenberuf geworden. Der „Herr Lehrer“, der mit strengem Blick über die Schülerschar wacht, ist Geschichte.
Derweil nimmt der Anteil von Jungen an den Abiturienten stetig ab. Auch bei den Schulnoten überflügeln Mädchen ihre männlichen Mitschüler spielend – und zwar in sämtlichen Fächern. Sind Jungen also die Verlierer eines „verweiblichten“ Bildungssystems?
Zur Entwarnung gleich vorweg: Bereits vor 100 Jahren waren Mädchen in der Schule disziplinierter und fleißiger als Jungen, was sich auch in den Noten widerspiegelte. Die Mädchen haben früher einfach seltener höhere Abschlüsse angestrebt: Warum Abitur machen, wenn man sowieso Hausfrau und Mutter wird?
Je mehr Mädchen ihr Potenzial ausnutzen, desto schlechter schneiden im Vergleich die Jungen ab.
Dass das nicht so sein muss, zeigt übrigens ein Blick nach Asien: Dort zeigen Jungen und Mädchen die gleiche Leistungsbereitschaft. Einen Jungen als „Streber“ zu verlachen, weil er nachmittags Vokabeln lernt, würde dort niemandem einfallen.
„Aber es muss doch einen Unterschied machen, ob Kinder ausschließlich von Frauen oder auch von Männern unterrichtet werden!“, so hört man immer wieder. Diese Unterschiede gibt es tatsächlich – und was sie ans Licht bringen, ist überraschend:
1.) Schonhaltung
Männliche Lehrkräfte halten sich statistisch gesehen häufiger ans Lehrbuch und verzichten auf Abwechslung bei Arbeitsmaterialien und Unterrichtsmethoden. Sie bevorzugen den Frontalunterricht, während ihre Kolleginnen die Schüler emotional aktivieren und zu selbständigem Lernen anregen wollen.
In der Gruppe derjenigen Lehrkräfte, die bei ihrer Arbeit eine Schonhaltung einnehmen, sind Studien zufolge Männer überproportional vertreten. Die Männer jedoch, die Arbeitsblätter und andere Materialien im Unterricht einsetzen, investieren gleich sehr viel mehr Zeit dafür. Die Spannbreite beim Engagement ist bei Männern also besonders groß.
2.) Emotionale Stabilität
Ebenso wichtig für den Lernerfolg ist die emotionale Stabilität der Lehrkraft. Und hier liegen die Männer eine kleine Spur vorn – zumindest in den ersten Arbeitsjahren.
Junge Lehrerinnen haben der Tendenz nach öfter Probleme, sich genügend von ihrer Tätigkeit zu distanzieren. Rückschläge werden schneller als persönliche Kränkung empfunden, was Erschöpfungserscheinungen und Depressionen zur Folge haben kann.
3.) Auf den Tisch hauen
Der Mann, der energisch mit der Faust auf den Tisch haut – dieses Klischee ist noch durchaus gang und gäbe. Untersuchungen zum Rollenverhalten von Lehrern zeigen sogar auf, dass männliche Lehrkräfte umso stärker in klassische Verhaltensmuster verfallen, wenn sie der Hahn im Korb sind. Grund: Gibt es kaum andere Männer, ist der Druck besonders hoch, eine maskuline Rollenerwartung zu erfüllen.
Dass das etwas robustere Auftreten von Männern auch seine Vorteile haben kann, darauf deutet zumindest eine Schülergruppe hin: Männliche Hauptschüler brechen seltener die Schule ab, je häufiger sie von Männern unterrichtet werden. Ob dies mit dem erhöhten Migrantenanteil an Hauptschulen zu tun hat oder ob die Ursachen ganz woanders liegen, ist allerdings noch nicht erforscht.
4.) Ein Auge zudrücken
Es gibt genauso Jungen, die lieber still sitzen und lernen, wie es Mädchen gibt, die gerne toben und Platz brauchen. Der umgekehrte Fall ist jedoch verbreiteter.
Wenn Jungs rangeln und raufen, lassen Lehrer das ihnen öfter durchgehen als Lehrerinnen. Dass Kabbeleien zur Entwicklung dazugehören, stößt bei Lehrern leichter auf Verständnis. So kommt es, dass Jungen von Lehrerinnen zwar nicht schlechter benotet, dafür aber häufiger als störend empfunden und gemaßregelt werden.
5.) (K)ein Vorbild
Dass Lehrerinnen bevorzugt Deutsch, Bio und Fremdsprachen unterrichten, ist nichts Neues. Unterrichten sie jedoch Mathe oder Physik, zeigen ihre Schülerinnen mehr Interesse und bessere Leistungen. Mädchen empfinden Lehrerinnen in der typischen Männerdomäne der MINT-Fächer als positive Vorbilder.
Jungs scheint es hingegen egal zu sein, ob sie von einem Mann oder einer Frau unterrichtet werden. Die Noten bleiben gleich – sowohl in Mathe und Physik als auch in Deutsch und Bio. Der männliche Lehrer als Identifikationsfigur? Das mag im Einzelfall vorkommen, ist aber eher selten. Ist Jungen der Lehrerberuf nicht „cool“ genug?
Es gibt so viele unterschiedliche Lehrerpersönlichkeiten, wie es Lehrkräfte gibt. Dazu kommen noch die ganzen anderen Faktoren wie Fleiß, Intelligenz, Vorwissen und Unterrichtsqualität, die sich auf das Leistungsniveau der Schüler auswirken. Das Geschlecht des Lehrers spielt da kaum eine Rolle. Die „Verweiblichung“ der Schule ist daher kein Grund zur Besorgnis.
Gleichwohl könnten mehr männliche Lehrkräfte den Schulalltag bereichern: Sie würden zu einer größeren Vielfalt der pädagogischen Stile beitragen. Wer weiß, vielleicht gibt es Kinder, denen klassischer Frontalunterricht und gelassene Zurückhaltung mehr liegt? Oder Kinder, die jemanden brauchen, der auch mal auf den Tisch haut, aber im richtigen Moment ein Auge zudrückt?