Kitzeln gehört zu den seltsamsten Phänomenen des menschlichen Körpers: Wer es hasst, lacht trotzdem – und wer es mag, wehrt sich dagegen. Fröhlich-lebhafte Menschen sind kitzliger als andere – sich selbst kitzeln kann aber niemand.
Warum wir überhaupt kitzlig sind, können Wissenschaftler immer noch nicht erklären. Auch in der Einschätzung des Kitzelns gibt es große Unterschiede. Die einen Forscher werten es als positiv: Wenn man Babys am Bauch und an den Fußsohlen krabbelt, kichern, glucksen und lächeln sie. Das sei ein Zeichen von Intimität und Vertrauen, was die Bindung zwischen Eltern und Kind stärke. Auch Frischverliebte kitzeln sich gerne gegenseitig.
Kitzeln: Aus diesen 3 Gründen kann es schädlich sein
Andere Forscher sehen das Kitzeln wiederum eher skeptisch: Dass es bei Kleinkindern zum Stottern führen kann, ist zwar ein Ammenmärchen. Aber mit dem Kitzeln seien durchaus Gefahren verbunden, die in einigen Fällen nachweisbare Folgeschäden nach sich zögen.
Um etwas Licht in diese widersprüchliche Bewertung zu bringen, ist es sinnvoll, zwei Arten des Kitzelns zu unterscheiden: Auf der einen Seite gibt es das liebevoll-spielerische Kitzeln, das von manchen Kindern geradezu eingefordert wird – sei es in einer zärtlichen oder einer übermütigen Variante –, welches den Körper in wilde Zuckungen versetzt.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Kitzelattacken, die die Grenze zur Übergriffigkeit überschreiten. Hier wird der Spaß zur perfiden Quälerei, bei der das Kind zugleich lacht und leidet, ohne sich entwinden zu können. Wenn Psychologen nun den Eltern raten, ihre Kinder nicht zu kitzeln, so sind in diesem Zusammenhang ebenjene übergriffigen Kitzelattacken gemeint.
Folgende drei Gründe werden dabei gegen das Kitzeln vorgebracht:
1. Schmaler Grat
Die meisten Eltern sind davon überzeugt, dass ihr Kind es toll findet, gekitzelt zu werden. Das liegt daran, dass es fast hysterisch kichert. Das Kichern ist aber nichts weiter als ein Reflex. Gelacht wird auch dann, wenn das Kitzeln zur Qual wird. Der Reflex lässt sich nicht ausschalten.
Wann die Grenze überschritten ist, lässt sich aber nur schwer bestimmen: Jedes Kind empfindet anders. Hinzu kommt, dass auch beim lustvollen Kitzeln Abwehrreaktionen erzeugt werden und das Lachen den Kitzelnden geradezu anstachelt, weiterzumachen. Das Kind weiß manchmal selbst nicht genau, wie es die Kitzelattacke einschätzen soll, da es sein Lachen ja sonst mit etwas Schönem verbindet.
Das peinigende Gefühl, das Kitzelattacken auslösen, sollte dabei keinesfalls auf die leichte Schulter genommen werden. Anhaltendes Kitzeln löst nämlich gravierende Stresssymptome aus. Lachen ist auf alle Fälle kein Zeichen, dass dem Kind die Situation gerade gefällt.
2. Dominanz
Wer große Brüder hat, weiß nur zu gut, dass Kitzelattacken gezielt als Folterinstrument eingesetzt werden können. Über Kitzeln wird Dominanz ausgeübt. Der Gekitzelte verliert die Kontrolle über seine Reaktionen. Sein Körper zuckt und windet sich, ohne sich wehren zu können. Richard Alexander, Professor für Evolutionsbiologie, ist sogar der Ansicht, dass das erzwungene Lachen beim Kitzeln ursprünglich eine Unterwerfungsgeste war.
Solches Dominanzgebaren halten einige Psychologen bei Eltern für besonders problematisch. Das Grundvertrauen der kindlichen Psyche könne durch übergriffiges Kitzeln ebenso Schaden nehmen wie durch körperliche Gewalt.
3. Körperbewusstsein
Kitzeln ist ein wichtiger Teil bei der Entwicklung körperlicher Liebe, gibt Robert Provine von der Universität von Maryland zu bedenken. Auch Susann Heenen-Wolff macht auf die Nähe zur sexuellen Reizwahrnehmung aufmerksam, die bei übergriffigen Kitzelattacken zu einer Durchbrechung des „Reizschutzes“ führe. Gerade weil Lust und Qual beim Kitzeln so nah beieinanderliegen, wird das Körperbewusstsein nachhaltig irritiert.
Das Kitzeln ist nicht selbst schon sexuell. Aber es prägt den Umgang mit sensorischen Reizen. Betroffene, die unter einem Kitzeltrauma leiden, fühlen sich zum Beispiel in Menschengruppen unsicher oder haben in Beziehungen Probleme mit der körperlichen Nähe.
Man mag die Bedenken gegen das Kitzeln für überzogen halten. Womöglich ist es mit dem Kitzeln aber ähnlich wie mit dem Achterbahnfahren: Es gehört zur Kindheit dazu, gewisse Grenzen zwischen Lust und Unlust auszuloten. Doch es ist etwas anderes, ob man freiwillig oder unfreiwillig in einer Achterbahn sitzt. Daher ist es auch beim Kitzeln wichtig, gewisse Grundregeln einzuhalten: Eltern sollten behutsam vorgehen und darauf achten, wann ein fröhliches Kichern in einen verkrampften Lachreflex übergeht. Außerdem sollten sie dem Kind genügend Ruhepausen gönnen und nur weitermachen, wenn es aktiv darum bittet. Dann kann Kitzeln ein schöner Spaß zwischen Eltern und Kind sein.
Nur wenige ahnen, was übergriffige Kitzelattacken bei einigen Kindern auslösen. Mit welchen anderen Fehlern Eltern zudem die Entwicklung ihrer Kinder nachhaltig stören können, erfährst du in diesem Artikel.
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